Sabbeln statt tippen
5. August 2008 von -buck
Ich habe ihr nie gelernt, im 10-Finger-System zu schreiben. Nein, das ist falsch – ich habe es einmal in der Volkshochschule gelernt, aber nie wirklich angewendet, und manche Dinge, die man nicht übt, verlernt man wieder [1]. Das ist nicht so tragisch, wenn ich genau weiß, was ich schreiben soll. In diesem Fall bin ich mit meinem Zweieinhalb-Finger-Suchsystem dank der vielen Übung leidlich schnell. Wenn ich aber formulieren und tippen soll, wird es offensichtlich sehr schwierig.
Ich habe mich immer wieder dabei erwischt, dass ich Arbeiten, die die Erstellung längerer Texte beinhalteten,immer wieder vor mir her schob. Wenn ich längere E-Mails zu schreiben hatte, habe ich einen Vormittag ja manchmal sogar einen ganzen Tag daran gesessen. Das lag sicherlich zum einen daran, dass es häufig um sehr feine Nuancen in der Formulierung geht, aber zum anderen auch ganz sicher daran, dass ich nicht vernünftig schnell tippen kann.
Gestern Abend nun beobachtete ich in dieser komischen Abendserie auf R. T. L., wie eine der Figuren geradezu mühelos einen Text in einen Computer diktierte. Ich erinnerte mich daran, dass ich vor langer Zeit einmal ein Softwarepaket zum Testen bekommen hatte, nämlich WordPerfect inklusive Dragon NaturallySpeaking. Dummerweise die englische Version, aber hey, ich spreche ziemlich gut Englisch, und zum Ausprobieren reicht das alle Mal.
Ich erinnere mich noch, wie ich damals die Packung euphorisch aufriss, das Programmpaket installierte und mich mit Feuereifer daran machte, Dragon meinen Sprechstil beizubringen. Das allerdings erwies sich als etwas tückisch. Das Lernprogramm präsentierte mir Seite um Seite des Buches “Alice im Wunderland”, und meine damalige Freundin war ebenso verwundert wie pikiert [2], mich dabei zu erwischen, wie ich meinem Computer vier Stunden lang auf Englisch aus einem Kinderbuch vorlas.
Das Problem an der ganzen Spracherkennungstrainingsgeschichte ist ja, dass die Texte exakt vorgelesen werden müssen. Wie schnell passiert es, dass man mal ein Wort vergisst, dass man zwei Worte in der falschen Reihenfolge vorliest, dass man Worte nicht richtig liest – umso mehr in einer Fremdsprache. Ich verhaspelte mich andauernd, musste die Seiten natürlich von vorn beginnen, wurde müde und machte mehr Fehler, wurde wütend und machte noch mehr Fehler. Und wenn ich dann einmal eine Seite zu Ende und richtig gelesen hatte, musste die Software die Ergebnisse verarbeiten, und bei der damaligen Hardware dauerte das Stunden (gefühlt).
Irgendwann gab ich entnervt auf, hoffte, dass das bisher Geleistete genügen würde und versuchte, ernsthaft Texte zu diktieren. Natürlich geschah was zu erwarten war: es funktionierte nicht. Kein Stück. Die Erkennungsquote war katastrophal, die Verarbeitungsgeschwindigkeit nicht auszuhalten. Also biss ich in den sauren Apfel, wartete, bis meine Freundin aus dem Haus war [3] und versuchte erneut, das Trainingsprogramm von Dragon NaturallySpeaking erfolgreich zu bewältigen. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ist letztlich gedauert hat, aber irgendwann hatte ich es geschafft. Alle Trainingslektionen waren grün markiert und die Software teilte mir stolz mit, dass sie es nach mehreren Stunden Rechenzeit geschafft hätte, ein Sprachprofil für mich anzulegen. Ich könne jetzt damit beginnen, dem Computer Texte zu diktieren.
Der langen Rede kurzer Sinn: auch nach erfolgreich absolvierten Trainingseinheiten war die Spracheingabe in den Computer eine einzige Katastrophe. Es mag an der Software gelegen haben, es mag an der Hardware gelegen haben, es mag an mir gelegen haben [4] – fest steht, dass es nicht funktioniert hat. War auch nicht ganz so schlimm, schließlich musste ich zu dieser Zeit keine langen Texte tippen. Diese Tatsache hat mich natürlich leider auch nicht motiviert, das 10-Finger-System (wieder) zu erlernen. Ich legte das Thema Spracherkennungssoftware zu den Akten und hatte es völlig vergessen – wie gesagt bis zu dieser komischen Serie.
Ich machte mich also sofort auf die Suche, las Testberichte im Internet und verglich Produktfeature und Produktpreise. Es gibt offensichtlich nur drei Programme auf dem Markt, die wirklich nennenswert sind: Voice Pro 11 von Linguatec, Dragon NaturallySpeaking 9 von Nuance und Via Voice 10.5 von IBM. Allerdings: bei Via Voice steht ‘Nuance IBM Via Voice’, und bei Linguatec’s Voice Pro steht an einigen Stellen auch zu lesen, dass es ‘auf Via Voice basiert’. Alles scheint da irgendwie zusammen zu hängen… Trotzdem hat sich für mich aufgrund verschiedener Tests und Rezensionen Dragon Naturally Speaking als Favorit herauskristalisiert. Erleichtert wurde mir die Entscheidung, da ich zufällig auch noch eine Firma kenne, die Dragon NaturallySpeaking einsetzt und von denen ich mir heute morgen unkompliziert ein Laptop leihen konnte, auf dem das Programm installiert ist. Schnell noch mein altes und sehr einfaches [5] Headset angeschlossen und installiert – und dann Dragon NaturallySpeaking 9.5 geöffnet.
Benutzerprofil anlegen. Ich hatte es ja schon erwartet. Und dann: bitte das Programm trainieren. Oh je. Na gut, denke ich, Augen zu und durch. Wie schlimm kann es schon werden – diesmal habe ich ja wenigstens die deutsche Version. Und dann folgten ca. 25 Minuten Spracherkennungssoftware-und-Mensch-Abstimmung mit kurzen, einfachen Texten; dann noch ein paar Hands-On-Lektionen, um sich mit den Grundbegriffen der Bedienung vertraut zu machen. Zusammen vielleicht 40 – 45 Minuten, dann meldet Dragon NaturallySpeaking Vollzug.
Ja, ja – das hatten wir ja schon einmal. Angeblich ist alles gut, und wenn man es dann ernsthaft versucht, stellt sich heraus, dass doch wieder nichts klappt. Obwohl – bei den Selbst- und Nachmachübungen war ich von der Leichtigkeit und von den Ergebnissen schon sehr begeistert. Also frisch ans Werk – womit zuerst? Oh, da kommt eine Nachricht über Jabber in Pidgin an. Mal sehen… Cursor im Eingabefeld positioniert und beherzt losdiktiert. Und voilá – es geht! Auf Anhieb steht der Satz richtig da, ohne irgendeinen Fehler. Okay, es waren keine komplizierten Worte drin: “Ja, vielen Dank, es wäre toll, wenn Du das noch erledigen könntest!” ist weder besonders poetisch noch Pulitzerpreis-verdächtig. Aber trotzdem: in Pidgin, auf Anhieb fehlerfrei. Ich bin begeistert.
Word – ah, okay, Word hat eine spezielle Unterstützung für die Spracherkennung; ich weiß zwar nichts Genaues, aber wenn man das Dokument speichert, fragt Word extra nach, ob man das Diktat auch speichern möchte. auf jeden Fall funktioniert das Schreiben von Texten schnell und reibungslos. Einfach großartig! OpenOffice Writer verhält sich ebenso unkompliziert. PSPad klappt auch sofort. Thunderbird: “Antworten!” öffnet sofort ein Antwortfenster für die E-Mail, die ich gerade ansehe – der Antworttext ist natürlich auch blitzschnell diktiert. Und last but not least habe ich diesen Text, mit über 1000 Worten, auch mit Dragon NaturallySpeaking “geschrieben”.
Ich habe heute ein Angebot, einen Brief und zwei längere E-Mails mit Dragon NaturallySpeaking verfasst. Normalerweise schaffe ich nicht einmal die Hälfte (oder schiebe solche Aufgaben vor mir her). Wenn ich jetzt noch etwas sicherer im Umgang mit den Befehlen werde, kann ich meine Produktivität sicherlich noch weiter steigern. Somit bin ich nach nur einem halben Tag Arbeit mit dem Programm begeistert und überzeugt. Der Preis von 250 Euro für die Preferred Wireless Edition inkl. drahtlosem USB-Headset erscheint in diesem Zusammenhang geradezu günstig. Folgerichtig habe ich eine eigene Version sofort bei Amazon bestellt und kann es kaum erwarten, dass das Paket kommt…
—–
[1] Fahrradfahren gehört nicht dazu. Schreiben im 10-Finger-System sehr wohl.
[2] IHR hätte ich noch nie etwas vorgelesen, aber meinem blöden Rechner, oder wie?
[3] Und ich vergewisserte mich selbstverständlich, dass sie die nächsten sechs bis acht Stunden nicht zurückkehren würde…
[4] Zahnklammern haben, so wurde mir berichtet, eine verheerende Auswirkung auf Spracherkennungssoftware. Ich trug zu diesem Zeitpunkt allerdings keine mehr.
[5] 9,99 Euro. War auch nur dazu gedacht, mal Skype auszuprobieren, und die zwei Mal hat es auch gute Dienste geleistet… ;-)